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Die Entstehung der Presbyopie vor dem Hintergrund alter und neuer Akkomodationstheorien
R. Guthoff, H. Schneider, A. Bacskulin, T. Terwee*;
Universitäts-Augenklinik, Rostock,
*Pharmacia & Upjohn Groningen BV
Refraktive Fehlsichtigkeiten sind die häufigsten Sehstörungen des Menschen. Gegenwärtig richtet sich das Interesse der Augenärzte vorrangig auf die refraktive Hornhautchirurgie, die etwa einem Drittel der westlichen Bevölkerung eine permanente Behandlung ihrer Fehlsichtigkeit ermöglicht. Die mit weitem Abstand häufigste aller Fehlsichtigkeiten, die Presbyopie, ist jedoch bis heute keiner befriedigenden permanenten Korrektur zugänglich. Die Einschränkungen durch die Altersweitsichtigkeit betreffen gerade jenen Lebensabschnitt, in dem jeder einzelne seine höchste Produktivität erreicht. Entsprechend ist die ökonomische Bedeutung der Presbyopie.
Neben den fehlenden Möglichkeiten der permanenten Korrektur der Presbyopie ist jedoch auch deren physiologischer Mechanismus bis heute keineswegs geklärt. Die naturwissenschaftliche Deutung der Akkomodationsreaktion beginnt Anfang des 17. Jahrhunderts und führt 1855 zum Akkomodationsmodell von Hermann von Helmholtz. Die Helmhotz-Theorie führt die Akkomodation auf nur drei entscheidende Faktoren zurück: den Ziliarmuskel, die Zonulafasern und die elastischen Eigenschaften der Linse. Die als Antipode zur Helmhotz'schen Theorie ebenfalls im 19. Jahrhundert entstandene Tschernig-Pflugk-Theorie geht davon aus, daß der Ziliarkörper die Linse nicht durch Zonula-Entlastung, sondern durch Mitnahme des Glaskörpers nach anterior verformt. Diese beiden Modelle haben bis heute als Kernelemente einer Vielzahl der Akkomodationstheorien u.a. von Gullstrand, Fincham, Fisher, Coleman und Wilson überlebt.
Der von Schachar postulierten Theorie einer akkomodativ verursachten Annäherung des Linsenäquators an den Ziliarkörper mangelt es zwar bisher an einer wissenschaftlichen Akzeptanz, jedoch basiert auf ihr eines der wenigen derzeit angebotenen operativen Verfahren zur Wiederherstellung der Akkomodationsfähigkeit. Die zahlreichen Abwandlungen sind Ausdruck der bis heute anhaltenden Suche nach einem biomechanischen Modell, mit dem sich die bekannten akkomodativen Phänomene beschreiben lassen. Solange der Akkomodationsvorgang jedoch nicht präzise beschrieben werden kann, fehlt aber auch die Grundlage zum Verständnis der Presbyopie.
Weitere Arbeiten zur Akkomodation und Presbyopie werden möglicherweise zu der Erkenntnis führen, daß der Mensch den mit der Presbyopie verbundenen Einschränkungen auch in Zukunft nicht ausweichen kann, aber auch in diesem Fall wird der Informationsgewinn vielfältig sein.
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